Zum Dahinschmelzen schön

17.09.2022

Wiebke Weidanz und Leonard Schelb begeistern beim „Musikalischen Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche. (Vaihinger Kreiszeitung)

Wahre Meister an ihren Instrumenten: Cembalistin Wiebke Weidanz und Flötist Leonard Schelb. Foto: E. Filitz
Wahre Meister an ihren Instrumenten: Cembalistin Wiebke Weidanz und Flötist Leonard Schelb. Foto: E. Filitz

Mühlacker-Lienzingen (ef) Ein historisches Kleinod ist die Frauenkirche in Lienzingen. Die besondere Atmosphäre, die die spätgotische Architektur ausstrahlt, dazu allerbeste Akustik waren vor nunmehr 45 Jahren Anreiz für Peter Wallinger an diesem Ort seiner Klassikreihe „Musikalischer Sommer“ ein Zuhause zu geben. In diesen Jahrzehnten hat er als künstlerischer Leiter und Dirigent die Entwicklung dieser beachtenswerten Konzertreihe maßgeblich geprägt. Sein Name ist ein Markenzeichen für anspruchsvolle Konzerte mit namhaften Ensembles und Solisten aller Couleur, die sich auf vielen Bühnen, auch international, Anerkennung, zahlreiche Preise und Auszeichnungen erspielt haben. Doch auch junge talentierte Musikerinnen und Musiker werden gefördert, deren Können bei den Zuhörern oftmals ungläubiges Staunen hervorruft.

Am vergangenen Sonntag öffneten sich die Kirchentore zum vorletzten Mal in diesem Sommer. Mit Beginn um 11 Uhr erklangen erste Takte aus einer Suite des nahezu unbekannten französischen Komponisten Franҫois Chauvon (1700-1740). Interpreten der acht melodiösen Sätze dieses Werkes waren Leonard Schelb an der Traversflöte und Wiebke Weidanz am Cembalo. „Klangschmelze“ tituliert ihr Ensemble und da ist der Name wahrlich Programm. Zum Dahinschmelzen schön ertönte die Traversflöte, höchst sensibel und meisterhaft geblasen und intuitiv begleitet von der Cembalistin. Beide sind Anhänger der historischen Aufführungspraxis, mit der sie „Alte Musik“ authentisch interpretieren, ganz im Sinne der Komponisten des Früh-, Hoch- und Spätbarocks, deren Werke sie beim Spiel in der Frauenkirche mit neuem Leben füllten. Weidanz ist „Bachpreisträgerin 2000“, ist eine gefragte Solistin und Continuospielerin. Sie lehrt als Professorin für historische Tasteninstrumente an der Musikhochschule in Nürnberg. Zwischendurch reist sie zu Festivals in ganz Europa, nach Übersee und Asien. Schelb hat eine Professur für Traversflöte an der Kölner Musikhochschule. Auch er ist gefragter Solist und arbeitet mit bedeutenden Orchestern zusammen. Konzertreisen innerhalb Europas und nach Syrien unternimmt er ebenfalls.

Wie erwähnt begann die musikalische Reise des Duos am Sonntag in Frankreich und nahm dann das Publikum mit nach Deutschland an den Potsdamer Hof Friedrich des Großen, der neben diversen Meriten auch als Flöte spielender Monarch in die Geschichte einging. Mit Hingabe interpretiert erklangen nun Stücke von Carl Philipp Emanuel (1714-1788) und Johann Sebastian Bach (1685-1750). Mit einer Fantasia für Flöte solo von Georg Philipp Telemann (1681-1767) berauschte Schelb mit ungemein facettenreichem Spiel an der Traversflöte die andächtig lauschenden Zuhörer.

Nach der Pause entführten Cembalistin und Flötist ihr Publikum nach England auf recht unbekanntes musikalisches Terrain. Schelb war nun zur Sopranblock- und Altblockflöte gewechselt, die er beide ebenso virtuos spielte wie zuvor die Traversflöte. Zwei unbekannte Namen tauchten auf: Adson und Paisible. Von John Adson (1587-1640), Komponist und Blasmusiker und ab 1634 auch Musiklehrer Charles I. ist wenig überliefert. Sein Stück „Trois Masques“ für Blockflöte und Basso Continuo fand den ungeteilten Zuspruch der Zuhörer, wenngleich zuvor der Klang der Traversflöte genussreicher und herzerwärmender war. Den in Halle geborenen deutschen Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759), der ebenfalls ein Faible für England hatte, vereinnahmen die Engländer gern für sich. Zumal der hochgeachtete Komponist 1727 die britische Staatsbürgerschaft erwarb und bis zu seinem Tod in London lebte. Mit einer Händel-Suite für Cembalo Solo erfreute die Cembalistin das Publikum erneut, nachdem sie zuvor schon mit einer Sinfonia für Cembalo Solo von Johann Sebastian Bach großen Applaus erhalten hatte. Diese sonntägliche Konzertstunde endete mit einer Sonate in g-moll für Blockflöte und Basso Continuo von Jacques Paisible (1656 -1721), gebürtiger Franzosen, Komponist und Blockflötist, der in London lebte. Auch er gehörte zu den „Unbekannten“, doch mit seinen melodischen Klangbildern freundeten sich die Zuhörer schnell an. Kammermusik vom Feinsten war den Konzertbesuchern in der Ankündigung versprochen worden und sie wurden nicht enttäuscht, wie der stürmische, nicht enden wollende Schlussapplaus zeigte. Mit einer Zugabe dankte das Duo für den uneingeschränkten Zuspruch und die bis zum letzten Ton wachsende Begeisterung.

(Vaihinger Kreiszeitung vom 11.09.2022, Text u. Foto: Eva Filitz)