Souveräne Gestaltung

20.06.2017

Simon Wallinger interpretierte Bachs „Goldberg-Variationen“ beim „Musikalischen Sommer“ (Pforzheimer Zeitung)

Das Auftaktkonzert der Konzertreihe Musikalischer Sommer in der Frauenkirche Lienzingen gab Pianist Simon Wallinger. Foto: fotomoment
Das Auftaktkonzert der Konzertreihe Musikalischer Sommer in der Frauenkirche Lienzingen gab Pianist Simon Wallinger. Foto: fotomoment

Mühlacker Lienzingen. Die legendenhaft schöne Entstehungsgeschichte von Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ (BWV 988) erzählte Christina Dollinger in ihren „Reflexionen über das Werk“ als Einführung zum Sonntagsmatinée-Konzert beim „Musikalischen Sommer“: Als Auf-tragsarbeit des schlafgestörten russischen Botschafters in Dresden, Carl von Keyserlingk, sollte der Thomaskantor gewissermaßen ein Narkotikum „sanften und etwas munteren Charakters zur Aufhei-terung schlafloser Nächte“ komponieren. Entstanden ist ein monumentaler Variationen-Zyklus, eine Herausforderung selbst für erstklassige Klavierspieler.

Der junge Pianist Simon Wallinger stellte sich in der Lienzinger Frauenkirche dieser anspruchsvollen Aufgabe, deren Lösung eine intensive Beschäftigung mit dem Werk und immensen Übungsfleiß voraussetzt. Seine Wiedergabe glich einer Demonstration souveräner Gestaltungskraft. Mit guter Technik - beim ursprünglich für ein zweimanualiges Cembalo geschriebenen Zyklus kommen sich auf dem Klaviermanual ständig die Hände in die Quere und müssen sich überkreuzen – und mit differenzierendem Klangsinn sowie Gespür für die symmetrische Architektur begab sich Wallinger auf eine wunderbare Klangreise.
Die zu Beginn (und am Ende) gespielte Motto-“Aria“, welche die 30 Variationen umrahmt, wirkte mit ihren zerdehnten Trillern wie ein Wiegenlied. Doch gleich die erste Variation schleuderte hell leuchtende Blitze in den Singsang. Auch tieftraurige Momente (in der 21.Variation) oder klangsinn-liche Augenblicke (im Adagio der 25.Variation) wurden fein herausgearbeitet. Überschäumend entfaltete sich der Sarabande-Ton in der 26.Variation. In der Heiterkeit des Volkslied-“Quodlibet“ (letzte Variation) war das Aufatmen des Pianisten zu „hören“: Gleich geschafft.

Simon Wallinger horchte in die Struktur des zyklischen Werkes hinein, deckte Verbindungslinien auf und setzte die Farb- und Stilcharaktere der einzelnen Mosaiksteine des Musikgemäldes prägnant voneinander ab. Über manche Tempo-Relationen zwischen den Sätzen könnte man streiten. Jedenfalls gab es nicht die langweilende „Perpetuum mobile“-Motorik, mit der Barockmusiken häufig wie hinschnurrende Nähmaschinen interpretiert werden. Kompliment für die überaus respektable Leistung.

(Pforzheimer Zeitung vom 20.06.2017, Text: Eckehard Uhlig, Foto: fotomoment)