07.09.2023
Die Reihe „LienzingenAkademie“ findet neue, überaus spannende Schnittstellen zwischen klassischem Konzertrepertoire, Masken und Theater in der Tradition der italienischen Commedia dell’Arte. Am Wochenende können sich Musikfreunde bei zwei Veranstaltungen davon überzeugen. (Mühlacker Tagblatt)
Enzkreis. Es ist kein Geheimnis, dass Besucherinnen und Besucher klassischer Konzerte oder Opern mehrheitlich der älteren Generation angehören. Schon vor Jahren vermeldete die Deutsche Presseagentur, das Klassikpublikum sterbe schlichtweg aus – und berief sich auf Studien des Kulturwissenschaftlers und Soziologen Martin Tröndle von der Universität Friedrichshafen. Um das reiche Kulturerbe Europas längerfristig am Leben zu erhalten und auch ein jüngeres Publikum anzuziehen, braucht es deshalb neue Ideen, Konzepte und Formate. Längst haben die großen Kulturfestivals Crossover-Konzerte im Programm (so auch die Klosterkonzerte in Maulbronn), die Musik verschiedener Zeiten, Genres oder Stile verschmelzen lässt. Wenn Klassik und Pop, Jazz, Weltmusik oder Elektronik aufeinandertreffen, entstehen bisweilen höchst eigenwillige und reizvolle neuartige Klangwelten. Ebenso inspirierend ist die Begegnung von Musik und Szene.
Simon Wallinger, der Sohn Peter Wallingers, ist studierter Musiker und tritt als Pianist, Kontrabassist und Dirigent in Erscheinung. Als Initiator der Reihe „LienzingenAkademie“ sucht er mit seinen Freunden und Musikpartnern in jedem Jahr nach neuen musikalischen und außermusikalischen Ausdrucksformen.
Die Akademie versteht sich als „Musik-Labor“, in dem sich Künstler ganz unterschiedlicher Provenienz auf den Weg machen, die starren Konventionen klassischer Konzerte zu überdenken und neue Anknüpfungspunkte für ein breiteres Publikum zu suchen und zu finden.
Seit Dienstag probt Wallinger mit einem interdisziplinären Team aus dem Commedia dell’Arte-Künstler Fabio Mangolini aus Ferrara, dem Schauspieler und Regisseur Michael Schneider aus Berlin und der Geigerin Rebecca Raimondi aus Frankfurt am Main sowie vier weiteren Spitzenmusikern der jüngeren Generation aus Paris, Berlin und Frankfurt. Das Ensemble möchte Werke Georg Philipp Telemanns, Joseph Haydns und Carl Philipp Emanuel Bachs nicht nur konzertant aufführen, sondern sucht die Begegnung mit der italienischen Commedia dell’Arte, jenem bekannten Stegreif- und Maskentheater, das vom 16. Jahrhundert an ganz Europa erobert hatte. Entstehen soll – nach den Vorstellungen der Protagonisten – eine „Commedia Instrumentale“, ein Konzert in Wort, Ton und Maskenspiel, das in Frankfurt, Öschelbronn und Lienzingen zur Aufführung gelangen wird.
Die ausgesuchten Werke weisen einen engen Bezug zur Commedia dell’Arte auf und sind teilweise sogar in der Tradition des Volks- und Stegreiftheaters entstanden: Telemann erweckt in der „Ouvertüre burlesque“ einige Kerngestalten der Commedia dell’Arte zum Leben: Scaramouches, Harlekin, Colombine, Pierrot, Menuets und Mezzetin en Turc. Carl Philipp Emanuel Bachs „Triosonate in c-Moll“ vertont ein fiktives Gespräch zwischen einem Sanguiniker und einem Melancholiker – ein gefundenes Fressen für jedes Improvisationstheater. Haydns musikalisch gestenreiches Stück „Cassatio“ wiederum erzählt bildhaft von Etappen einer langen Reise.
Die Masken aus Italien sollen diese musikalischen Impulse aufnehmen und auf einer weiteren Handlungsebene eine Gestalt geben. Auf der Bühne werden die beiden Schauspieler Mangolini und Schneider zu erleben sein. Es ist ein Gedankenaustausch auf offener Bühne angedacht. Die Rolf-Scheuermann-Stiftung unterstützt das Projekt großzügig mit 2500 Euro.
Die Veranstaltung am Sonntag, 10. September, um 11 Uhr in der Lienzinger Frauenkirche verspricht ideenreiche Überraschungen für Augen und Ohren und ist eine klare Empfehlung für Freunde anspruchsvoller Unterhaltung. Im Johanneshaus in Öschelbronn findet dieselbe Veranstaltung am Samstag, 9. September, um 19 Uhr statt.
Karten im Vorverkauf gibt es unter Telefon 07043/958393 und über die Mailadresse susanne@boekenheide.net.
(Mühlacker Tagblatt vom 07.09.2023, Text und Foto: Dr. Dietmar Bastian)