Als die Querflöte noch aus Holz war

12.09.2022

Eine exquisite Konzertmatinee mit Traversflöte und Cembalo nimmt das Publikum in der Lienzinger Frauenkirche am Sonntagmorgen mit auf Reise durch das barocke Europa. Die Professoren Leonard Schelb und Wiebke Weidanz überzeugen mit virtuosem und stilsicheren Vortrag. (Mühlacker Tagblatt)

Leonard Schelb (Travers- und Blockflöte) und Wiebke Weidanz (Cembalo) beim Konzert in der Frauenkirche. Foto: Fotomoment
Leonard Schelb (Travers- und Blockflöte) und Wiebke Weidanz (Cembalo) beim Konzert in der Frauenkirche. Foto: Fotomoment

Mühlacker. Alle heute gebräuchlichen akustischen Konzertinstrumente sind aus einem langen Entwicklungsprozess hervorgegangen. Die Traversflöte aus Holz ging der Querflöte aus Metall voraus, das Cembalo dem modernen Konzertflügel. Im Zuge immer größerer Säle und Opernhäuser war es notwendig geworden, den Instrumenten einen durchsetzungsfähigeren und kräftigeren Klang zu verleihen. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die historischen Vorbilder und deren ureigener Reiz wiederentdeckt, und die historische Aufführungspraxis Früher Musik hat parallel zum modernen Konzertwesen längst ihre eigene Gemeinde gefunden. Zwei Meister der Alten Musik waren am Sonntag im Rahmen des „Musikalischen Sommers 2022 in der Lienzinger Frauenkirche“ zu Gast: die Cembalistin und Professorin für historische Tasteninstrumente an der Musikhochschule Nürnberg Wiebke Weidanz und der Experte für Travers- und Blockflöte und Professor an der Musikhochschule Köln Leonard Schelb.

Beide gehören sie schon länger der Szene an und spielen in wechselnden Formationen und Funktionen bei hochrangigen Klangkörpern wie dem Freiburger Barockorchester, Concerto Köln oder der Akademie für Alte Musik Berlin. Zahlreiche Rundfunk- und CD-Produktionen vervollständigen beider beeindruckende Karriere. Sowohl Weidanz als auch Schelb zeichnet aus, dass sie gerne bekanntes Terrain verlassen und Unbekanntes oder wenig Bekanntes zutage fördern und zur Aufführung bringen.

Bei ihrer sehr gut besuchten Matinee am Sonntagmorgen spielten sie neben geläufigen Stücken für Flöte und Cembalo von Carl Philipp Emanuel Bach, Georg Philipp Telemann, Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel auch Werke gänzlich unbekannter Komponisten aus Früh-, Hoch- und Spätbarock: François Chauvons „Première Suite in G-Dur“, John Adsons „Trois Masques“ sowie Jacques Paisibles „Sonate in g-Moll“ gehören nicht zum festen Repertoire für Flöte und Cembalo. Das Duo nennt sich sinnreich „Klangschmelze“.

Was schmilzt beziehungsweise verschmilzt hier? Es sind die obertonreichen, hellen Töne des Cembalos und die warmen, milden Töne der aus Holz gefertigten Traversflöte. Beide Instrumente bewegen sich in etwa auf dem gleichen Lautstärke-Level und mischen sich ganz wunderbar. Eine Kombination von modernem Klavier und Traversflöte oder Cembalo und moderner Querflöte klänge dagegen viel unnatürlicher. Die Solisten hatten bereits nach der einleitenden „Première Suite in G-Dur“ von François Chauvon, einem Schüler François Couperins, die Zuneigung des Publikums errungen. Ihr technisch makelloses Spiel und ihre unprätentiöse Art kamen sehr gut an. Auf eine Reise durch das barocke Europa wollten die beiden Künstler das Publikum mitnehmen, und so ging es vor der Pause an den Hof in Versailles und danach nach Potsdam, der Residenz des Flöte spielenden Preußenkönigs Friedrichs des Großen.

Nach der Pause entführten Weidanz und Schelb die Zuhörerinnen und Zuhörer nach England. Der Flötenvirtuose hatte für die zweite Konzerthälfte die Traversflöte gegen die glockenhelle Sopranino- und die sonore Altblockflöte eingetauscht. Zwischen den Duostücken war die Flöte oder das Cembalo solo zu hören. Der Reichtum und die Vielfalt der Musik des Barock und die Schöpferkraft ihrer Protagonisten wurden bei diesem Konzert neu zum Leben erweckt. Große Begeisterung des Publikums gab es für die ausführenden Künstler, die mit einer exquisiten Verzierungstechnik, mit einem enormen Gespür für rhythmische Finessen und einer stupenden Beherrschung ihrer Instrumente voll und ganz überzeugen konnten. Herzlicher Applaus belohnte die beiden konzertierenden Professoren, für den sie sich mit einer Zugabe bedankten.

Hinter den Kulissen ein unermüdlicher Peter Wallinger, der seit fast 45 Jahren großartige Künstlerinnen und Künstler in die Region Mühlacker holt. Die Reihe des „Musikalischen Sommers“ muss in jedem Jahr neu organisiert und betreut, die Programmzettel müssen entworfen und geschrieben werden. Selbst das Putzen und Herrichten des gotischen Kirchenraums, in dem sich die Woche über gerne Tauben aufhalten, übernimmt er mit seiner Frau.

(Mühlacker Tagblatt vom 13.09.2022, Text: Dr. Dietmar Bastian, Foto: Fotomoment)