Reiches Klangspektrum und Präzision

15.09.2020

Frauenkirche Lienzingen: Das hochkarätige Trio Ostertag war mit einem faszinierenden Programm zum zweiten Mal beim „Musikalischen Sommer“ zu erleben. Begeisterung des Publikums beim Konzert fast körperlich spürbar. (Mühlacker Tagblatt)

Das Trio Ostertag brilliert in einem Konzert der Reihe „Musikalischer Sommer“ in Lienzingen. Foto: Fotomoment
Das Trio Ostertag brilliert in einem Konzert der Reihe „Musikalischer Sommer“ in Lienzingen. Foto: Fotomoment

Mühlacker-Lienzingen. Nur wenige Musikerinnen und Musiker erfahren im Laufe ihrer Karriere so viel Wertschätzung und erringen so viele Preise und Auszeichnungen wie das Trio Ostertag, das im süddeutschen Raum zweifellos zu den renommiertesten Kammermusikensembles zählt. Das „Familien-Trio“ mit Vater Martin Ostertag (Violoncello), Sohn Christian Ostertag (Violine) und Ehefrau Katrin Melcher (Viola) war 2018 zum ersten Mal in Lienzingen zu Gast. Das Mühlacker Tagblatt betitelte den Auftritt damals als „neue glänzende Perle“ in den Konzerten des Musikalischen Sommers. In ihrer Matinee am vergangenen Sonntag hatten Professor Martin Ostertag, Professor Christian Ostertag (Erster Konzertmeister beim SWR-Symphonieorchester) und Katrin Melcher (ebenfalls im SWR-Symphonieorchester) den kongenialen Pianisten Professor Fritz Schwinghammer aus München dabei.

Das Programm hätte kaum besser gewählt und attraktiver sein können: Am Anfang stand ein leidenschaftliches Jugendwerk des erst 16-jährigen Gustav Mahler, ein Klavierquartett-Satz in a-Moll, gefolgt vom hinreißenden Klaviertrio Nr. 2 in g-Moll op. 26 des „böhmischen Musikanten“ Antonin Dvorák, und in der zweiten Hälfte schließlich ein Schlüsselwerk der deutschen Hochromantik, das Klavierquartett Es-Dur op. 47 von Robert Schumann. Die drei Oeuvres fügten sich trotz ihrer musikalischen Gegensätzlichkeit zu einem schwergewichtigen Ganzen zusammen und eröffneten einen zugleich umfassenden und tiefgründigen Einblick in das reiche Klangspektrum und die atemberaubende Präzision, die sich die Musiker in mehreren Jahrzehnten zusammen erarbeitet haben. Völlig zu Recht überschlägt sich die Kultur-Presse landauf, landab mit Superlativen (warmer, wandelbarer Ton, lustvolles Musizieren, Feuerwerk der Extras). So konnten die – bedingt durch Corona – nur knapp 100 Zuhörer ein bemerkenswertes Konzert aus einem Guss erleben.

Am Anfang stand also das Jugendwerk Gustav Mahlers. Das mit einem markanten Hauptmotiv losstürmende Frühwerk steht einerseits noch ganz in der Schumann-, Mendelssohn- oder Brahmstradition, gibt andererseits aber bereits einen Blick frei auf das spätere so überreiche sinfonische Schaffen des vielleicht bedeutendsten Sinfonikers der Spätromantik. Kurze Ausbrüche im dritten Teil „Entschlossen“ lassen bereits eine Vorahnung der sich explosionsartig entladenden späteren Mahler-Sinfonien zu.

Eine vollkommen andere Musiksprache begegnete den Zuhörern in Antonin Dvoráks Klaviertrio Nr. 2 in g-Moll. Im reichen Schaffen des großen Böhmen verbinden sich Einflüsse von Klassik und Romantik mit Elementen der Volksmusik und führen besonders beim Spätwerk zu einem ganz eigenen national-tschechischen Stil. Dvoráks Liebe zu seiner böhmischen Heimat, seine Naturverbundenheit und gleichzeitig berauschende Lebensfreude traten umso deutlicher zutage, je mehr er sich von der absoluten Musik seiner (deutschen) Kollegen entfernte. In der zugleich sehr einfühlsamen und hochvirtuosen Wiedergabe des selten gespielten Trios durch Martin und Christian Ostertag und Fritz Schwinghammer traten slawisch-herbe Töne im ersten Satz, volksliedhaft-sinnliche im zweiten (mit einem herrlichen Dialog von Violine und Cello), diabolisch-düstere im dritten und augenzwinkernd-schalkhafte im Schlusssatz hervor. Bravorufe begleiteten die vier Künstler in die Pause.

Mit Robert Schumann gelangte die deutsche Hochromantik zu ihrem Höhepunkt. Ein glänzendes Beispiel seiner Meisterschaft ist sein viersätziges Klavierquartett op. 47, dessen glänzende Wiedergabe durch das Ostertag Trio und den Pianisten Fritz Schwinghammer zu einer Glücksstunde des Musikalischen Sommers werden ließ. Suchende, sinnliche, ruhige Momente und stürmische, wilde, technisch höchst anspruchsvolle Passagen (vor allem für das Klavier) führen in allen vier Sätzen einen betörenden Dialog: im enthusiastischen ersten Satz (Allegro assai), im mephistophelischen zweiten (Scherzo. Molto vivace), im kantablen dritten (Andante) und im hochvirtuosen und sehr eingängigen vierten (Finale. Vivace).

In diesem Meisterwerk treten Florestan und Eusebius, zwei Fantasiefiguren Schumanns, ein Schelmenpaar höchst gegensätzlicher Temperamente, ohrenfällig zutage. Der wilde Florestan und der milde Eusebius schließen sich nicht aus, nein, sie ergänzen sich, sind nur zwei unterschiedliche Seiten derselben Medaille. Die Begeisterung in der Frauenkirche war fast körperlich spürbar. Und im Hintergrund – wie gewohnt – Peter Wallinger, der es immer wieder schafft, Musiker dieses Ranges für die Reihe zu verpflichten.

(Mühlacker Tagblatt vom 15.09.2020, Text: Dr. Dietmar Bastian, Foto: Fotomoment)