Der Zauber kehrt zurück

30.06.2020

Frauenkirche Lienzingen: Das zweite Konzert des „Musikalischen Sommers“ wartet mit einigen Überraschungen auf. Das Grand Duo Concertant zeigt, dass auch eher ungewöhnliche Kombinationen von Instrumenten wunderbar harmonieren können. (Mühlacker Tagblatt)

Matthias Buchholz (Bratsche) und Michinori Bunya (Kontrabass) gestalten das zweite Konzert des Musikalischen Sommers 2020 in der Frauenkirche Lienzingen.  Foto: Fotomoment
Matthias Buchholz (Bratsche) und Michinori Bunya (Kontrabass) gestalten das zweite Konzert des Musikalischen Sommers 2020 in der Frauenkirche Lienzingen.
Foto: Fotomoment

Mühlacker-Lienzingen. Musikalische Zweierformationen gibt es zuhauf, allen voran die Kombination eines beliebigen Soloinstruments mit Klavier. Oder es musizieren zwei Violinen, zwei Querflöten, Oboe und Flöte, Klarinette und Fagott und so weiter. Aber Bratsche und Kontrabass? Geht das zusammen? Ja, absolut, das zweite Konzert des „Musikalischen Sommers“ mit dem Bratschisten Matthias Buchholz und dem Kontrabassisten Michinori Bunya eröffnete den rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörern überraschend neue, ungewohnte Klangperspektiven. Die beiden Weltklasseinstrumentalisten agierten als Grand Duo Concertant so überzeugend und spielten so beseelt, dass man sich am Sonntagvormittag in der stilvollen Frauenkirche fragen mochte, warum die beiden tiefen Streicherlagen so gut wie nie solistisch zusammen zu hören sind.

Die Bratsche, auch Viola genannt, besitzt zwar nicht die Brillanz und Durchsetzungsfähigkeit ihrer kleineren Schwester, der Geige, klingt dafür aber sonorer, intimer und bisweilen sinnlicher. Der Kontrabass, der üblicherweise das große Orchester nach unten hin abstützt, war in der Matinee als Soloinstrument eine echte Überraschung. Ein weiter Ambitus, der von der unteren Cellolage bis hinab zum ganz tiefen E reicht, führte die Zuhörer in sonst kaum ausgelotete tiefe Klangräume.

Originalkompositionen sind rar, doch es gibt sie. Am Beginn ihres zweistündigen Programms spielten Matthias Buchholz (Professor an der Kölner Musikhochschule) und Michinori Bunya (Professor an der Würzburger Musikhochschule) die 1979 original für Bratsche und Kontrabass komponierte Suite Opus 30 des ungarischen Komponisten György Tibor (1918 bis 1988). Dieses hierzulande völlig unbekannte viersätzige Werk war mit seinem volkstümlichen ungarischen Tonfall, seiner dialogischen, tänzerischen und rhapsodischen Tonsprache ein guter Einstieg des als „Grand Duo Concertant“ betitelten Konzerts. In seiner Begrüßung hatte der gebürtige Hamburger Matthias Buchholz zuvor seine Freude darüber geäußert, endlich wieder vor Publikum spielen zu dürfen. Es folgte die äußerst anspruchsvolle dritte Cellosuite C-Dur BWV 1009 von Johann Sebastian Bach in einer Transkription für Viola.

Dass Buchholz sich seit Jahrzehnten mit den Cellosuiten Bachs auseinandersetzt, war seiner routinierten, technisch makellosen, formbewussten Wiedergabe sehr wohl anzumerken. Ob jedoch die Viola jene gedanklichen Tiefen dieser grüblerischen Suiten Bachs auszuloten imstande ist, wie das um eine Oktave tiefer spielende Cello? Und welche Rolle spielen hier einfach nur Hörgewohnheiten? Fest steht, dass man Bachs „absolute Musik“ zweifellos auf jedem Instrument spielen darf und soll, warum also nicht auf der Viola?
Der Komponist Béla Bartók (1881 bis 1945) schöpfte mit vollen Händen aus der reichen Tradition seiner ungarischen Heimat und benachbarter Länder und interpretierte diese musikalischen Schätze mit der tonalen Klangästhetik des frühen 20. Jahrhunderts neu. Die beiden Musiker spielten vor der Pause aus den „10 Duos für Viola und Kontrabass“ (original für zwei Violinen komponiert) acht hinreißende, tänzerische und liedhafte Miniaturen voll rhythmischer Überraschungen, Eleganz und Witz.

Nach der Pause folgte das dreiteilige „Memory“ der koreanischen Komponistin Jie-sun Lim (geboren 1960) für Kontrabass solo aus dem Jahr 2009, vor dem Schlussstück der Matinee, der Sonate D-Dur für (original) Viola und Kontrabass des Kontrabassvirtuosen und Mozart-Zeitgenossen Johann Matthias Sperger (1750 bis 1812). Das dreisätzige Werk kommt charmant, im galanten Stil daher und ist mit fein auskomponierten Duettspielereien und einer leicht nachvollziehbaren Themenstruktur sehr angenehm und gefällig zu hören.
Die Zuhörer verfolgten angerührt und fast ausgehungert das Spiel der beiden mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Künstler. Es ist der hartnäckigen Überzeugungsarbeit Peter Wallingers gegenüber den Ordnungsbehörden zu verdanken, dass jeweils wenigstens knapp 100 Zuhörer ein bemerkenswertes Konzert live erleben können. Der Zauber unmittelbaren, ganzheitlichen musikalischen Erlebens und Genießens ist zurück.

(Mühlacker Tagblatt vom 30.06.2020, Text: Dr. Dietmar Bastian, Foto: Fotomoment)