Meisterwerk und Meisterleistung

20.06.2017

Simon Wallinger spielt zur Eröffnung des „Musikalischen Sommers“ Bachs Goldberg-Variationen (Mühlacker Tagblatt)

Simon Wallinger interpretiert in der Lienzinger Frauenkirche Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen. Foto: Fotomoment
Simon Wallinger interpretiert in der Lienzinger Frauenkirche Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen. Foto: Fotomoment

Die Jubiläumssaison der Reihe „Musikalischer Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche ist mit einem bemerkenswerten Auftritt des jungen Pianisten Simon Wallinger eröffnet worden.

Mühlacker-Lienzingen (pm). „Wie ein gewaltiges Felsengebirge erheben sich die Goldberg-Variationen Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Flachland. Kein nachfolgender Komponist kam auf diesem Felde fortan an Bachs Variationen vorbei.“ Mit diesem Zitat wurde am Sonntagvormittag das Eröffnungskonzert zur Jubiläumssaison „40 Jahre Musikalischer Sommer“ eingeleitet.
Tatsächlich gehört das monumentale Werk von weit über einer Stunde Dauer zu den großartigsten Klavierwerken – ursprünglich für zwei-manualiges Cembalo komponiert –, in dessen 30 Veränderungen über eine Aria sich ein überreicher Kosmos musikalischer Erscheinungsformen entfaltet.

Über ein gleichbleibendes Bassfundament setzt Bach Tänze wie Polonaise, Sarabande und Gigue oder andere musikalische Formen wie französische Ouvertüre, Toccata oder Kanon und am Ende sogar augenzwinkernd ein Quodlibet mit zwei damals bekannten Volksliedchen „Ich bin so lang nit bei Dir g’west“ und „Kraut und Rüben haben mich vertrieben“.

Auch spieltechnisch werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft: höchste Virtuosität mit rasanten Läufen, Trillerketten, überkreuzten Händen – dann wieder weltentrückter, lyrischer Gesang.

Simon Wallinger bewältigte die gewaltige pianistische und gestalterische Herausforderung mit Bravour – und auswendig. Bei höchster Konzentration gelang dem 24-Jährigen aus Maulbronn-Zaisersweiher der riesengroße Spannungsbogen mit organisch atmenden Übergängen, dabei jede einzelne Variation bis ins kleinste Detail ausleuchtend.

Entlassen wurde ein sichtlich berührtes Publikum, das überraschend zahlreich und mit zum Teil sehr weiter Anfahrt gekommen war. Einige Musikfreunde waren aus der Bodenseeregion und aus der Schweiz nach Lienzingen gereist.

Voraus ging dem musikalischen Ereignis ein bemerkenswerter Vortrag der Musikwissenschaftlerin Dr. Christina Dollinger. Mit „Nachtgedanken“ überschrieb sie ihre atmosphärische und zugleich informative Einstimmung auf das faszinierende Bach-Werk. Aus unterschiedlichen Positionen ließ sie die drei Schlüsselfiguren sprechen, die – alle geprägt durch die Sphäre der Nacht – maßgeblich zur Entstehung der Goldberg-Variationen beitrugen: Zu Wort kamen der musikliebende, aber von Schlafstörungen gepeinigte Auftraggeber Graf Keyserlingk, dessen genialer, erst 14-jähriger Hofcembalist Johann Gottlieb Goldberg und schließlich Johann Sebastian Bach selbst, der das Kunststück fertigbrachte, trotz höchster kompositorischer und spieltechnischer Ansprüche eine Musik für „Liebhaber zur Gemüths-Ergetzung“ zu schaffen.

„Man hätte dieser Musik, so eindrucksvoll gespielt, immer weiter lauschen können“, sagte eine Konzertbesucherin beim Verlassen der Frauenkirche.

(Mühlacker Tagblatt vom 20.06.2017, pm, Foto: Fotomoment)