Wahre Wohltat in der kulturellen Zwangspause

19.01.2021

Konzert mit der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim, Solist Michinori Bunya und Schauspieler Johann-Michael Schneider. (Mühlacker Tagblatt)

Neujahrskonzert ohne Livepublikum, aber mit viel musikalischem Niveau: das Orchester „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ mit dem Solisten Michinori Bunya. Foto: Mammel
Neujahrskonzert ohne Livepublikum, aber mit viel musikalischem Niveau: das Orchester „sueddeutsche kammersinfonie bietigheim“ mit dem Solisten Michinori Bunya. Foto: Mammel

Mühlacker. Die bei Alt und Jung beliebten Neujahrskonzerte konnten in diesem Jahr infolge des zweiten Corona-Lockdowns nicht live in Konzerthäusern, Kirchen oder Kulturzentren stattfinden. Deshalb haben die Veranstalter – von der Nordsee bis nach Wien, von Berlin bis ins Erzgebirge – nach alternativen Möglichkeiten gesucht, die aufführungsreifen Programme kulturbegeisterten Konzertbesuchern dennoch zugänglich zu machen. So ist 2021 das Jahr der Live-Streams und Online-Konzerte, auch für Peter Wallinger und die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim. Das zur guten Tradition gewordene musikalisch-literarische Programm wurde am Freitag in der historischen Kelter in Bietigheim als Video aufgezeichnet und ist seit Sonntag ins Netz gestellt, wo es über die Webseiten www.sueddeutsche-kammersinfonie.de oder www.muehlacker-klassik.de/muehlacker-concerto kostenfrei nachgehört werden kann.

Und das lohnt sich! Peter Wallinger, der mit klug durchdachten Programmzusammenstellungen jedes Mal für Überraschungen gut ist, hat mit dem Motto des diesjährigen Neujahrskonzerts „Tutti – Soli“, in sinnreicher Anspielung auf die aktuell sehr angespannte Situation des Einzelnen inmitten der Pandemie, ein Programm auf die Beine gestellt, das es in sich hat. Zwischen Werken von Antonio Vivaldi, Franz Schubert und Ottorino Respighi, sind, großartig rezitiert von dem Berliner Schauspieler Johann-Michael Schneider, kurze Gedichte und Texte von Christian Morgenstern und Rainer Maria Rilke bis hin zu Paul Celan, Mascha Kaléko und Ernst Jandl eingeflochten.

Der Star des Neujahrskonzerts ist aber Michinori Bunya, einer des gefragtesten Kontrabassisten unserer Zeit. Das musikalische Zwiegespräch zwischen seinem solistischen Spiel und dem Streichertutti ergibt gleichsam eine weitere Ebene des Veranstaltungstitels „Tutti – Soli“. Den Besuchern des zweiten Sommerkonzertes in der Lienzinger Frauenkirche im Juni des vergangenen Jahres ist der gebürtige Japaner Bunya noch bestens in Erinnerung, als er zusammen mit dem Bratschisten Matthias Buchholz als „Grand Duo Concertante“ zu hören war.

Mit einer Delikatesse der barocken Literatur, dem Concerto grosso d-Moll op. 3 Nr. 11 von Antonio Vivaldi, beginnt das Neujahrskonzert. Forsch vorandrängend und sehr transparent treten die drei Solistinnen Sachiko Kobayashi, Andrea Langenbacher (Violinen) und Chihiro Saito (Cello) in einen beglückenden Dialog mit dem Streichertutti. Auch hier, innerhalb der Concerto-Concertino-Struktur, findet sich die Tutti-Solo-Thematik wieder. Im zweiten Allegro betont Peter Wallinger sehr schön den akzentreichen polyphonen Aufbau. Dem Largo hingegen fehlt vielleicht etwas die Ruhe, und es gerät etwas zu rasch. Virtuos und rauschhaft dann das abschließende Allegro.

In seiner Anmoderation gibt Johann-Michael Schneider dem Zuhörer noch weitere Interpretationen des Tutti-Solo-Gedankens mit auf den Weg durch das für coronageplagte Kulturliebhaber wohltuende einstündige Konzert: den zwar nicht hörbaren, aber umso stärker spürbaren Dialog zwischen Publikum und Musikern, dazu die philosophische Frage, wann ein Tutti zum Solo und wann ein Solo zum Tutti werde. Drei Arabesken von Hans Fryba für Kontrabass solo, dazwischen jeweils Lyrik von Ernst Jandl, Marie von Ebner-Eschenbach, Paul Celan und Mascha Kaléko setzen das farbenreiche Konzert fort. In Kalékos Gedicht „Sozusagen grundlos vergnügt“ heißt es: „Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne und an das Wunder niemals ganz gewöhne“ und nimmt damit die Stimmung inmitten der Pandemie auf, dass wir dankbar sein müssen, wenigstens elektronisch das Schöne haben zu dürfen – und noch dankbarer hernach, wenn wir wieder Kultur live erleben können.

Durchwoben von weiterer Lyrik dann der Deutsche Tanz Nr. 3 D-Dur aus D 90 von Franz Schubert, danach das Adagio und Rondo von Johann Matthias Sperger für Kontrabass und Streichertutti und schließlich Ottorino Respighis „Antiche Danze ed Arie“ III. Suite, die der Süddeutschen Kammersinfonie besonders gut gelingt. Der Italiener Respighi evoziert in einer wunderbar innigen und liedhaften Klangsprache Bilder von Sonne und südlicher Leichtigkeit, nach denen wir uns alle so sehr sehnen.

Das Neujahrskonzert im Web ist quasi Nervennahrung in diesen so besonderen Zeiten. Ein Spendenaufruf auf das Konto der Süddeutschen Kammersinfonie ist nur zu verständlich und ein Obolus jedem, der es sich leisten kann, dringend empfohlen.

(Mühlacker Tagblatt vom 19.01.2021, Text: Dr. Dietmar Bastian, Foto: Mammel)