„Wir gehen voll in die Offensive“

13.03.2021

Mit dem Frühjahrskonzert wird die dritte Produktion der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim online abrufbar. (Ludwigsburger Kreiszeitung)

Schwierige Zeiten erfordern besondere Formate: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim – hier beim Neujahrskonzert im Januar in der Kelter – lässt sich nicht beirren. Foto: Holm Wolschendorf
Schwierige Zeiten erfordern besondere Formate: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim – hier beim Neujahrskonzert im Januar in der Kelter – lässt sich nicht beirren. Foto: Holm Wolschendorf
 

Schwierige Zeiten erfordern besondere Formate: Die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim – hier beim Neujahrskonzert im Januar in der Kelter – lässt sich nicht beirren. Foto: Holm Wolschendorf

Bietigheim-Bissingen. Bereits zum dritten Mal seit dem zweiten Lockdown präsentiert Peter Wallinger ein Konzert seiner Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) als Videoaufzeichnung. Im Interview spricht der 70-jährige Dirigent über die Resonanz auf die Mitschnitte, das Programm des ab morgen Nachmittag abrufbaren Frühjahrskonzerts und die pandemiebedingten Herausforderungen bei der Planung und Durchführung der Aufzeichnungen.

Herr Wallinger, zum dritten Mal findet ein Konzert der Ihres Orchesters in Form einer Videoaufzeichnung statt. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Format gemacht?
Peter Wallinger: Wir sind total überrascht, wie gut das Format ankommt, auch beim älteren Publikum, wo wir anfangs schon skeptisch waren, ob die sich das vor dem Computer anschauen und -hören würden. Aber wir haben so viel positive Resonanz, auch von treuen Begleitern der SKB, erhalten – damit haben wir nicht gerechnet. Auch hat uns überrascht, wie oft die Konzerte abgerufen wurden. Das Adventskonzert wurde inzwischen über tausend Mal angeklickt, das Neujahrskonzert über 400 Mal. Das Format scheint also angekommen zu sein.

Wovon Sie zu Beginn nicht komplett überzeugt gewesen zu sein scheinen ...
Ich selbst stand der Idee einer Videoaufzeichnung am Anfang etwas reserviert gegenüber: Der Aufwand ist enorm und die Einnahmen sind gering, weil wir keine Eintrittsgelder erheben. Wenn ich aber sehe, dass wir dadurch auch Resonanz aus den USA, Rumänien, Italien und Frankreich bekommen, auch von Menschen, die uns vorher nur dem Namen nach kannten, denke ich inzwischen, dass das Format durch die Erhöhung der Reichweite auch große Vorteile bietet.

Planen Sie perspektivisch hybride Veranstaltungen?
Konkret in Planung ist das noch nicht, aber die Vorstellung, dass man interessante Konzerte auch dann, wenn wieder vor Publikum gespielt werden kann, in Bild und Ton aufzeichnet und ins Netz stellt, spukt schon in den Köpfen herum. Zunächst hoffen wir aber, im Sommer wieder live auftreten zu können.

Worin bestehen bei der Programmplanung in künstlerischer Hinsicht die Herausforderungen durch die Pandemie?
Zum einen gilt es Literatur für die reduzierten Besetzungen zu finden, die gerade möglich sind. Zudem stellen diese Stücke dann auch spieltechnisch für die Musiker eine größere Herausforderung dar: Wenn eine Streichergruppe aus nur zwei statt wie üblich aus drei oder mehr Instrumenten besteht, muss die Intonation wirklich total präzise aufeinander abgestimmt sein – da hört man jede Abweichung. Drei Stimmen verschmelzen dagegen dann schon wieder. Der Faktor, wer mit wem gut harmoniert, erhält also ein viel größeres Gewicht und muss bereits bei der Besetzung genau bedacht werden. Auch das Zusammenspiel auf Abstand ist nicht ganz trivial.

Von welchen Überlegungen haben Sie sich bei der Programmplanung für das jetzt anstehende Frühjahrskonzert leiten lassen?
Traditionell findet unser Frühjahrskonzert ja sowohl im Bietigheimer Kronensaal als auch im Uhlandbau in Mühlacker statt. Weil dieser vor hundert Jahren auf Betreiben des jüdischen Ehepaars Alfred und Laura Emrich, das später enteignet wurde und im KZ umgekommen ist, in Eigeninitiative errichtet wurde, war es mir ein Anliegen, dieses Jubiläum auch im Programm abzubilden. In den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts galt der Uhlandbau als das „schwäbische Bayreuth“ – alle Größen dieser Zeit sind dort aufgetreten: Carl Orff, Rudolf Serkin, Walter Giseking, Fritz Busch, das Rosé-Quartett aus Wien und viele andere. Mit Mieczysław Weinberg und Samuel Barber stehen deshalb zwei jüdische Komponisten auf dem Spielplan, wobei der Impuls zu Weinbergs Concertino für Violine und Orchester (Op. 42) von unserem holländischen Solisten Tjeerd Top ausging, der Konzertmeister beim Amsterdamer Concertgebouw-Orchester ist. Dazu gesellt sich ein unbekannteres, aber ganz extravagantes Violinkonzert von Vivaldi (RV 278) – weil ich mir gut vorstellen konnte, wie Top den dramatischen, nahezu opernhaften Gestus dieses Stücks auf seiner Stradivari-Geige von 1713 gestaltet: „con fuoco“ – mit Feuer nämlich. Anstelle eines Cembalos, das in kleiner Besetzung klanglich heikel ist, vervollständigt der Freiburger Thomas Boysen an der Theorbe die Continuogruppe. Als Puffer dazwischen Barbers überaus populäres „Adagio for Strings“ (aus Op.11), als frühlingshafter, aber leicht melancholischer Ausklang Dvořáks Walzer in A-Dur (Op.54, Nr. 1).

Wie kompensieren Sie die fehlenden Ticketeinnahmen?
Zwei unserer Konzerte, das Advents- und das Frühjahrskonzert, finden üblicherweise im Kronenzentrum statt und werden von der Stadt Bietigheim finanziert. Trotz der nun im Internet erfolgenden Ausspielung wurde uns dankenswerterweise ein Teil der Honorare zugesichert – damit kriegen wir die Produktionen einigermaßen hin. Darüber hinaus sind wir beim Regierungspräsidium vorstellig geworden, haben Mittel aus dem „Kunst trotz Abstand“-Programm beantragt und sind ganz optimistisch, was die Bewilligung dieser Beihilfe angeht. Höchst erfreulich ist auch die Resonanz auf den Spendenaufruf auf unserer Homepage – in Summe sind mit den beiden bislang online gestellten Videos rund 1000 Euro zusammengekommen.

Was steht in 2021 für die SKB noch an?
Im Prinzip unser übliches Pensum: Der „Musikalische Sommer“ in der Lienzinger Frauenkirche, wenn möglich auch die „Sommerliche Serenade“ in Sachsenheim, die Herbstkonzerte in Mühlacker, bei denen nochmals das 100-jährige Jubiläum des Uhlandbaus im Mittelpunkt stehen wird, vorgezogen auf November dann das Adventskonzert. Falls wir im Sommer wider Erwarten noch nicht live spielen können, würden wir auch wieder den Weg der Videoaufzeichnung wählen. Insgesamt gehen wir voll in die Offensive und versuchen, trotz mancher Widerstände, das Konzertleben über die Krise hinweg bestmöglich aufrecht zu erhalten.

Info: Das Frühjahrskonzert der SKB ist ab morgen Nachmittag kostenfrei unter www.sueddeutsche-kammersinfonie.de und www.muehlacker-klassik.de/muehlacker-concerto abrufbar. Um Spenden wird gebeten.

(Ludwigsburger Kreiszeitung vom 13.03.2021, Autor: Harry Schmidt, Fotos: Holm Wolschendorf)