Virtuoses Spiel um Tutti und Soli

18.01.2021

Videoaufzeichnung des Neujahrskonzerts der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim mit Dirigent Peter Wallinger. (Ludwigsburger Kreiszeitung)

Peter Wallinger dirigiert die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim mit Solist Michinori Bunya am Kontrabass.
Peter Wallinger dirigiert die Süddeutsche Kammersinfonie Bietigheim mit Solist Michinori Bunya am Kontrabass.
Schauspieler Johann-Michael Schneider rezitiert Gedichte.
Schauspieler Johann-Michael Schneider rezitiert Gedichte.
 
Videoaufzeichnung mit großem technischem Aufwand in der Bietigheimer Kelter. Theresa Mammel und Vivien Betz stehen hinter der Kamera.
Videoaufzeichnung mit großem technischem Aufwand in der Bietigheimer Kelter. Theresa Mammel und Vivien Betz stehen hinter der Kamera.
Tonmeister Thomas Schmidt ist voll konzentriert.
Tonmeister Thomas Schmidt ist voll konzentriert.
 

Bietigheim. Im Halbkreis und auf Abstand um ein flaches Podest gruppiert, stehen zwölf Stühle am Kopfende der historischen Kelter in Bietigheim, davor die Notenpulte – ebenerdig, denn dieses Konzert benötigt nicht die Erhöhung durch ein Podium. Wie bereits anlässlich des Adventskonzerts im Dezember hat sich Peter Wallinger auch für das traditionelle Neujahrskonzert der Süddeutschen Kammersinfonie Bietigheim (SKB) zu einer Videoaufzeichnung entschlossen, die nun bis mindestens bis Ende Januar auf der Homepage des Ensembles abrufbar bleibt. „Das ist recht aufwendig – auch finanziell –, aber wir scheuen keine Mühe für den Erhalt unserer Musik- und Orchesterkultur“, betont der Gründer und Leiter der SKB.

Weil der heimische Bildschirm somit zur Bühne des Konzerts werde, habe man sich die Freiheit genommen, den kompletten Raum der Kelter als solche zu bespielen, erläutert Johann-Michael Schneider die Konzeption des Events unter dem Titel „Tutti – Soli …“. Dieser lasse sich durchaus nicht nur im musikalischen Sinn, sondern auch metaphorisch verstehen, so Schneider. Ohne das Wort Pandemie zu nennen, trifft er den Nagel auf den Kopf: Schließlich wird einem durch diese vieler Selbstverständlichkeiten beraubten Zeit das komplexe Verhältnis von Kollektiv zu Individuum nochmals ganz anders und eindrücklich vor Augen geführt.

Drei Kameras im Einsatz

Während Wallinger den Ablauf der Aufzeichnung mit Theresa Mammel durchgeht, die das Konzert mit drei Kameras einfängt, tröpfeln nach und nach maskierte Musikerinnen und Musiker in der Kelter ein. Tonmeister Thomas Schmidt hat vor jeder Streichergruppe ein Mikrofon aufgebaut, zusätzlich drei Schallwandler für den Raumklang auf einem hohen Stativ platziert. Bald erklingen Einspielgeräusche aus jeder Ecke der Kelter, Chihiro Saito, Stimmführerin der Celli in der SKB, macht sich mit Dehnübungen warm. Wie Konzertmeisterin Sachiko Kobayashi zählt die Japanerin zu den Gründungsmitgliedern des renommierten Lotus String Quartetts, die Vertrautheit ihrer musikalischen Kommunikation trägt maßgeblich zu den Qualitäten der Kammersinfonie bei. Etwa im Kopfsatz des elften Konzerts aus dem Opus 3 von Antonio Vivaldi: Das d-Moll-Konzert ist das populärste des 1711 veröffentlichten, immens einflussreichen Zyklus „L’Estro Armonico“ und ein Musterbeispiel des Concerto grosso, von der SKB ungemein vital und bravourös musiziert.

Auch in der Anspielprobe braucht Wallinger nicht viele Worte, um dem Orchester seine Auffassung zu vermitteln: Die Körpersprache des 70-Jährigen ist nuanciert und präzise – mal geht er geschmeidig in die Knie, mal steigt er auf Zehenspitzen. Seine Interpretationen sind von intimer Werkkenntnis geprägt, folgen aber stets einem ausgeprägten Sinn für markant-lebendige Gestaltung: „Vivaldi möge verzeihen, wenn er sich’s anders vorgestellt hat.

Interessante Kombinationen

Charakteristisch für Wallinger auch die Entdeckerfreude, mit der er Geläufigeres mit seltener gehörten Werken kombiniert, um dabei Gemeinsamkeiten und Verwandtschaften ans Licht zu bringen: Auch die dritte Suite aus Ottorino Respighis 1932 uraufgeführten „Antiche Danze ed Arie“ widmet sich dem Zusammenspiel von Tutti und Soli, allerdings unter neoklassizistischen Vorzeichen.

Virtuose Soli sind auch Schneiders Gedichtrezitationen: Anstelle langatmiger Erklärungen bringt der Berliner Schauspieler zwischen den Musikdarbietungen hochkompetent Texte von Paul Celan, Mascha Kaléko und Christian Morgenstern zum Klingen. So trifft Ernst Jandls Wortakrobatik in „Chanson“ auf Hans Frybas „Drei Arabesken für Kontrabass solo“ (1946), meisterhaft interpretiert von Michinori Bunya, dem musikalischen Solisten des Programms. Auch in Johannes Matthias Spergers Adagio und Rondo, kombiniert aus dem 15. und 18. Kontrabasskonzert des Beethoven-Zeitgenossen, spielt der sonore Wohlklang seines über 300 Jahre alten Testore-Instruments mit impulsiven, spieltechnisch höchst herausfordernden Kantilenen die Hauptrolle – mustergültig eingebettet in glänzende, gestochen scharf konturierte Tutti der SKB. Ein auf allen Ebenen hochkarätig besetztes Neujahrskonzert, dessen mannigfaltige Bezüge und Verbindungen auch online einleuchten.

(Ludwigsburger Kreiszeitung vom 18.01.2021, Autor: Harry Schmidt, Fotos: Holm Wolschendorf)